Komplexität light: Wie Teilwissen Diskurse lähmt

Vollkomplexität? Abchecken!

Zwischen Klicklogik und Meinungsmoral hat sich ein neues Kommunikationsideal etabliert: Teilkomplexität. Sie ist bequem, wirkt integer– und ist am Ende destruktiv.

In allen gesellschaftlichen Lagern finden sich Stimmen, die mit scheinbarer Souveränität monokausale Erklärungen anbieten – schnell, bequem, bestärkend. Mit halbem Wissen, halber Reflexion und halber Komplexität servieren sie ganze Wahrheiten. Elegant verkürzt, moralisch abgesichert, algorithmusfreundlich. Sie wirken gebildet – weil sie klug genug sind, Komplexität zu markieren, aber bleiben trotzdem zu feige, sie nicht zu durchdringen.

Politiker schimpfen auf Social-Media-Nutzer. Die auf Journalisten. Journalisten auf Populisten. Populisten auf alle. Und viele Akteure verhalten sich, als ließe sich die Vielschichtigkeit gesellschaftlicher Konflikte auf klare Schuldige reduzieren. Oder auch nicht, wenn die Schuldigen nicht erkannt werden wollen.

Währenddessen bleibt Komplexität oft unbeachtet – weil sie im medialen Wettbewerb kaum bestehen kann. Argumente in Vielfalt, gewichtet? Keine Klicks – keine Chance. Widersprüche, Ambivalenz, Nachdenken? Zu langsam. Zu schwach. Zu leise. Unökonomisch.

Wer heute sichtbar sein will, muss entweder brüllen oder blenden. Monokausale Erklärungen laufen durch die Timelines – formschön, eingängig, leicht teilbar, aufgepeppt durch Scheinkomplexität. Doch ihre Attraktivität ersetzt keine analytische Tiefe.

Längst sind es nicht mehr nur Einzelne, die so posten. Auch Büros in der Verwaltung, in Parlamenten, in Redaktionen mischen mit – professionell kuratiert, mit Auftrag und öffentlicher Wirkung. Was einst als Social-Media-Gebrabbel begann, ist längst zur Nebelregierung geworden – auf X, im Ton der Selbstgewissheit, mit dem Impuls zur nächsten Dominanzgeste. Sieht wichtig aus.

Komplexe Probleme brauchen Geduld, Tiefenschärfe, Zeit zur Entfaltung. Sie passen nicht in Tiktoks. Sie lassen sich nicht zwischen zwei Ausschusssitzungen abhandeln. Und genau deshalb wird heute lieber vereinfacht, verdreht und verkauft.

Gleichzeitig im Angebot: Halbwahrheiten mit Teilkomplexität – anspruchsvoll genug, um Diskussionen zu dominieren, aber unzureichend, um Probleme zu lösen. Sie beanspruchen Aufmerksamkeit, binden Ressourcen, suggerieren Tiefe – und blockieren Veränderung.

Ziel erreicht. Das funktioniert. Es bringt Reichweite. Es macht Stimmung. Es kanalisiert Aufmerksamkeit, schürt Affekte.

Teilkomplexität hat Hochkonjunktur. Sie reicht aus, um als solide, kompetent und integer zu gelten. Doch sie ist nichts weiter als das intellektuelle Futter für Durchschnittsdenker: zu glatt, um zu stören, zu schwach, um zu tragen. Genug, um zu blenden.

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