»Eine Brücke ist eine Brücke ist eine Brücke«

Andersen Storm im Interview 2025

STRUCTURA spricht mit Andersen Storm über Sinn, Struktur und Bambus (15.03.2025)

STRUCTURA:
Herr Storm, Ihr neuestes Projekt, eine Brücke über den beschaulichen Cospudener See hier in Markkleeberg, sorgt für Diskussionen. Was ist das visionäre Konzept hinter diesem Bauwerk?

Andersen Storm:
Es geht bei dieser Brücke nicht nur physisch um eine Brücke, sondern auch metaphorisch, aber eben auch physisch. Aber mehr als man auf den ersten Blick erwartet. Zum Beispiel würde man erwarten, dass die Brücke einen Verkehr führt. Doch darum geht es hierbei nicht. Hierbei geht es tatsächlich um Verbindung. Verbindung von beiden Seiten des Sees, die sonst um ihn herum geschehen müsste, was aber durch die Straße abgelenkt ist. Wir verbinden sozusagen die Biotope von beiden Seiten des Sees miteinander bis hin zu diesem Restaurant. Das ist eine biologische Perspektive, eine ökobiologische Perspektive. Das sind zwei Habitate zu verbinden. Aber natürlich geht es auch um den Menschen, um den touristischen Menschen, um den sportlichen Menschen, um die Tourismusindustrie, um den Tretbootverleih, den Fahrradverleih, Plüschreittierverleih, den es ja hier gibt. Ja, ganz wichtige Sachen heutzutage. Und natürlich auch um die Ökotrophologie. Also es geht auch darum, tatsächlich die Menschen auch physisch mit der Natur zu vereinen.

STRUCTURA:
Das klingt nach einer vielschichtigen Idee. Aber Kritiker könnten einwenden, dass eine Brücke, die keine klassische Verkehrsverbindung schafft, eher ein Symbol als eine Notwendigkeit ist. Wie entgegnen Sie dem Vorwurf, dass dieses Projekt eher Prestige als praktischen Nutzen verfolgt?

Andersen Storm:
Es ist immer so, dass große, neue und bahnbrechende Ideen ihre Feinde haben. Das ist auch normal. Und eigentlich – Viel Feind, viel Ehr! – ist es auch ein Zeichen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir sollten uns in diese Richtung bewegen und sollten aber auch gleichzeitig die Kritik ernst nehmen und Anregungen aus ihr aufnehmen. Allerdings, wenn wir den Habitaten gestatten, über eine Brücke einen schnelleren Schluss, wenn nicht überhaupt einen Schluss, zu den anderen Habitaten zu finden, dann ist das alles andere als kein Verkehr.

STRUCTURA:
Das ist eine interessante Perspektive. Dennoch bleibt die Frage, ob die Natur diese Verbindung überhaupt „braucht“ oder ob hier eher ein künstlicher Eingriff in ein bestehendes Ökosystem vorgenommen wird. Inwiefern ist sichergestellt, dass diese Brücke tatsächlich einen positiven ökologischen Effekt hat und nicht einfach nur ein gestalterisches Statement ist?

Andersen Storm:
Ich muss doch sehr bitten, das ist doch ein sehr verklittertes Naturverständnis. An welcher Stelle gibt es denn Natur, die der Mensch nicht geformt, nicht verändert und nicht bearbeitet hat? Wenn wir das zu seinem Wohle UND zum Wohle der Natur tun, was spricht denn dagegen?

STRUCTURA:
Sie sprechen von einem gestalteten Naturbegriff, in dem der Mensch aktiv formt und eingreift. Aber wenn wir von Ökologie sprechen, geht es ja oft um minimale Eingriffe, um den Erhalt natürlicher Prozesse. Würden Sie also sagen, dass Ihre Brücke eine Art „konstruktive Ökologie“ verfolgt – eine Natur, die erst durch Gestaltung zu ihrer wahren Funktion findet?

Andersen Storm:
Ganz so weit würde ich nicht gehen. Jedoch müssen Sie auch das Material bedenken und es wird jetzt auf den ersten Blick für Sie lächerlich klingen, es geht um Bambus. Und Bambus ist hier in der Tat das Material der Wahl. Bambus ist Leben.

STRUCTURA:
Bambus als Baumaterial für eine Brücke in Mitteleuropa – das überrascht tatsächlich. Viele würden einwenden, dass Bambus hier nicht heimisch ist und importiert werden müsste, was ökologisch fragwürdig sein könnte. Warum ist Bambus dennoch die ideale Wahl für Ihr Projekt?

Andersen Storm:
Schon LaoTse sagt, das Weiche ist dem Leben näher, das Harte dem Tod. Und das sehen wir auch an Hennigsdorfer Stahl, so spannend oder gespannt er gerade auch ist. Er liegt im Fluss. Und wir wollen ja nicht im Fluss liegen mit der Brücke, sondern wir wollen uns als Brücke von dem Fluss, dem See ernähren, wollen ihm etwas hinzufügen, wollen über dem Wasser schwebend, das Wasser mit einbeziehen in den ökologischen Brückenbau.

STRUCTURA:
Das klingt fast poetisch – eine Brücke, die sich vom Fluss „ernährt“ und ihn gleichzeitig respektiert. Doch bleibt die Frage der Dauerhaftigkeit: Bambus ist zwar flexibel und wächst schnell nach, aber wie gewährleisten Sie, dass diese Konstruktion den klimatischen Bedingungen Mitteleuropas standhält? Ist das nicht eine Herausforderung für die Langlebigkeit des Projekts?

Andersen Storm:
Na, nach Langlebigkeiten und so weiter fragen Sie die Brücken mit den verschiedenen Namen von „Carola“ bis „Autobahn“. Es geht schon darum, eine langlebige Konstruktion zu schaffen. Das heißt nicht, dass man nicht nach ein paar Jahren ein kleines Flickwerk anbringen kann, was in dieser Art der Bauweise ja möglich ist.

STRUCTURA:
Also verstehen Sie die Brücke eher als ein organisches Bauwerk, das sich mit der Zeit weiterentwickelt und nicht als starres Monument. Könnte man dann sagen, dass Sie hier ein neues Konzept von Architektur verfolgen – eine Art „wachsende Infrastruktur“, die sich der Natur anpasst, anstatt ihr eine endgültige Form aufzuzwingen?

Andersen Storm:
Ich verstehe natürlich, dass Sie von Local Laking Cross-Bridging Architecture nicht wirklich schon mal was gehört haben, weil: es ist ja wirklich eine sehr kleine Nische und die braucht auch einen speziellen Architekten, der auch tatsächlich Erfahrung auf diesem Gebiet gesammelt hat. Da reicht es nicht nur, sich Wissen zusammen zu klauben. Das verstehe ich schon, dass Sie das nicht kennen. Aber natürlich ist eine Brücke ein organisches Bauwerk. Was soll es sonst sein?

STRUCTURA:
Ich nehme an, dass dieses spezielle Feld der Local Laking Cross-Bridging Architecture nicht nur technisches Know-how, sondern auch eine gewisse philosophische Herangehensweise erfordert. Würden Sie sagen, dass Ihre Brücke nicht nur eine architektonische, sondern auch eine geistige Verbindung zwischen Mensch und Natur schafft – eine Art Reflexionsraum über unsere Beziehung zur Umwelt?

Andersen Storm:
Und da sind wir doch wieder am Ausgangspunkt unseres Interviews und da bin ich Ihnen sehr dankbar dafür. Hier schließt sich ja der Kreis. Natürlich ist eine Brücke auch eine metaphorische Aussage über unsere Welt. Und natürlich ist das philosophisch integrierbar in unser Leben und reflektiert natürlich auch die Interkonnektivität unseres Alltags, die wir halt sonst nicht sehen. Und dafür ist dieses Projekt wirklich extrem wichtig.

STRUCTURA:
Das bedeutet also, dass Ihre Brücke nicht nur als Bauwerk, sondern als Denkmodell fungiert – eine Art physische Manifestation der Vernetzung, die wir sonst oft übersehen. Glauben Sie, dass solche Projekte in Zukunft häufiger eine Rolle spielen werden, oder ist Ihre Brücke eher ein visionäres Einzelstück, ein Manifest Ihrer architektonischen Philosophie?

Andersen Storm:
Ich möchte nicht als eitel erscheinen, wenn ich jetzt sage, jeder Baumeister möchte sich auch ein klein wenig, auch nur mit dem kleinsten Bauwerk, verewigen, möchte für die Nachwelt sichtbar bleiben. Insofern gilt es natürlich, andererseits ist doch nichts besser geeignet, im Fluss zu bleiben, als die Vergänglichkeit zu akzeptieren.

STRUCTURA:
Das bringt eine interessante Dialektik ins Spiel – einerseits der Wunsch nach Beständigkeit, andererseits die bewusste Akzeptanz von Veränderung und Vergänglichkeit. Würden Sie sagen, dass Ihre Brücke letztlich weniger ein Bauwerk als ein Prozess ist – ein sich stetig wandelndes Element im urbanen und natürlichen Gefüge?

Andersen Storm:
Eine Brücke ist eine Brücke ist eine Brücke, und wenn sie gebaut ist, ist sie erst mal gebaut. Ich danke Ihnen vielmals für dieses Interview.

STRUCTURA:
Ich danke Ihnen, Herr Storm. Es war faszinierend, Ihre Vision zu verstehen – oder besser gesagt: zu passieren.

Über STRUCTURA

Das Interview erschien in STRUCTURA – Dialoge über Raum und Bedeutung, Ausgabe 1/2025 (veröffentlicht am 15. März 2025).
Das internationale Kultur- und Architekturmagazin erscheint vierteljährlich (Auflage: 32.000) und richtet sich an Fachleute aus Architektur, Stadtplanung, Design und öffentlichem Raum.
Erhältlich im Abo, im Fachhandel, in Museumsshops führender Architekturhäuser sowie digital unter:
structura-mag.com/ausgabe/1-2025


Structura als Ein-Wand-Raum-Kunst

STRUCTURA I–VI ist ein Ein-Wand-Epos über Raum, Sprache und Verschwinden.
Sechs Ein-Wandtexte umkreisen die Frage, wie Gedanken sich setzen – und was vom Raum bleibt, wenn er zu sprechen beginnt.

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