Essayistisches Manifest einer notwendigen Unterbrechung
von Andersen Storm – The Artist
I. Diagnose: Der entkernte Kulturbegriff
Kultur galt einst als der Raum, in dem sich Gesellschaft befragt. Als Ort der Unterbrechung, der Reflexion, der möglichen Andersheit. Heute hingegen begegnet uns „Kultur“ vielerorts als Planungsbegriff, als Ressort, als Event. Sie ist – bei aller wohlmeinenden Rhetorik – zum Verwaltungsgegenstand geworden: durchgefördert, durchgestaltet, durchkontrolliert. Man lobt den Kulturstandort, man evaluiert die kulturelle Teilhabe, man zertifiziert das kreative Potenzial. Was man dabei selten tut: Kultur erleben, neu entwerfen, zulassen.
Kulturpolitik spricht von Vielfalt und meint Programmvielfalt. Sie spricht von Zugang und meint Zielgruppenmanagement. Wo früher das Unsichere, das Ungesicherte, das Unabschließbare die Bedingung für kulturelle Erfahrung war, tritt heute das Kalkulierte, das Förderfähige, das Machbare. Die Kultur wird eingezäunt – mit den Mitteln ihrer eigenen Ermöglichung.
Das ist keine boshafte Entwicklung, sondern eine systemische. Die Strukturen des Kulturbetriebs – von den Förderlogiken über die Veranstaltungsökonomie bis zur medialen Aufbereitung – belohnen Wiedererkennbarkeit. Wer sichtbar sein will, muss anschlussfähig sein. Wer Anschluss sucht, muss Formate bedienen. Wer Formate bedient, produziert Kultur nach Maß – auch wenn die Maße längst nicht mehr von ihm selbst gesetzt werden.
Die Begriffe, in denen Kultur gedacht wird, sind dabei nicht neutral. Sie sind normierend. Kreativität ist ein Standortvorteil, Partizipation eine Messgröße, Diversität eine Zielmarke. Hinter jeder dieser Vokabeln steckt ein Raster, eine Logik der Verwertbarkeit, der Darstellbarkeit, der Planbarkeit. Das Unsichtbare, das Verstörende, das noch nicht Benennbare fällt aus dem Raster – und wird selten gefördert.
Der Kulturbetrieb funktioniert – in sich geschlossen. Was ihm dabei abhandenkommt, ist nicht nur seine Unabhängigkeit, sondern seine Funktion als gesellschaftlicher Möglichkeitsraum. Kultur, die sich nur in geförderten Schablonen reproduziert, wird zur Selbstbefragung mit Ansage – die Institution bleibt unberührt, der Impuls abgefedert.
Und auch dort, wo sich vermeintlich neue Räume öffnen – in der Nische, in der sogenannten Gegenkultur, in der Anti-Biennale der Anti-Kunst – zeigt sich oft dasselbe Muster: Exklusivität, Formatroutine, Binnenbezug.
Was als Widerstand begann, entwickelt sich zur Parallelstruktur mit eigenen Förderlogiken, Zugangscodes, Verwertungspfaden. Auch dort ist der Kulturagent längst verschwunden – jener, der noch einmal querdenken, aufbrechen, verbinden könnte. Wohin? Unklar. Vielleicht ermüdet, vielleicht ausgeschlossen, vielleicht uninteressant geworden für eine Szene, die sich selbst genug ist. Für Neues ist er jedenfalls ebenso unerreichbar wie in den offiziell beauftragten Kulturverwaltungen.
Die Diagnose lautet daher: Der Kulturbegriff ist entkernt. Nicht abgeschafft, nicht attackiert – sondern von innen heraus ausgehöhlt. Was bleibt, ist die Hülle eines Begriffs, gefüllt mit dem Versprechen von Relevanz, jedoch geleert von ihrer realen Zumutung.
II. Der Künstler als Ausnahmeproduzent des Vordefinierten
Man hat ihn behalten, den Begriff Künstler – doch was ist von ihm übrig? Eine stilisierte Rolle. Eine Zuschreibung. Eine verwertbare Kategorie für das, was außerhalb der Norm als besonders gilt, aber die Norm nicht wirklich stört. Der Künstler ist nicht mehr derjenige, der neue Formen schafft, sondern der, dem man die Ausnahme gestattet – solange sie vorhersehbar bleibt.
So wird er zum Ausnahmeproduzenten des Vordefinierten. Seine Aufgabe ist nicht das Unerwartbare, sondern das Markierbare. Er liefert kulturelle Differenz – im Rahmen. Stilvielfalt, nicht Strukturkritik. Experiment, nicht Erschütterung. Er wird eingeladen, um das Risiko zu simulieren, das man längst ausgeschlossen hat.
Der Markt liebt ihn dafür. Die Verwaltung auch. Denn der Künstler ist – so, wie man ihn braucht – eine kalkulierbare Variable in der kreativen Wertschöpfungskette. Eine personalisierte Differenz zur Norm. Solange sein Werk ein Label trägt, ein Förderkennzeichen, eine Preisverleihung oder einen Vermerk in der Pressemappe, ist er anschlussfähig. Er gehört zum Betrieb. Und wer dazugehören will, weiß: Nicht nur das Werk muss stimmen. Der Lebenslauf muss stimmen. Die Haltung muss passen. Die Begrifflichkeiten müssen andocken.
So produziert der Betrieb nicht nur Kunst, sondern auch den Künstlerbegriff selbst – als produktive Ausnahme, die systemisch notwendig ist, um Wandel zu behaupten, ohne ihn zuzulassen.
Das Tragische daran: Auch der Künstler selbst übernimmt diese Rolle oft bereitwillig – aus Überlebenswillen, aus Professionalität, aus der Gewohnheit, Erwartungen zu bedienen. Und selbst die Kritik daran, wenn sie stilvoll vorgetragen wird, ist längst Teil der Verwertungslogik. Die Ironie des Betriebs ist tief eingebaut: Sag, was du willst – solange uns die Form des Gesagten angemessen trägt.
Wer ausbricht, verschwindet. Wer bleibt, wird funktionalisiert.
So ist der Künstlerbegriff – wie so viele kulturtragende Begriffe – semantisch entkernt und anschließend neu befüllt worden. Nicht mit Geist, sondern mit Format. Nicht mit Risiko, sondern mit Anschlussfähigkeit. Seine ursprüngliche Radikalität wurde ersetzt durch das Versprechen: Hier ist jemand besonders – aber bitte planbar.
Doch ein Kulturbegriff, der keine Wirklichkeit mehr stört, sondern sie ausschließlich stabilisiert, ist kein Werkzeug mehr. Er ist Marketing. Er ist Aushängeschild. Er ist Dekoration. Er zeigt nicht mehr auf – er repräsentiert das Problem.
III. Kulturbegriffe in der Klammer
Die Entkernung von Kultur vollzieht sich nicht nur in Taten, sondern in Worten. Begriffe, einst getragen von gesellschaftlichem Anspruch und erkenntnistheoretischer Tiefe, werden heute verwaltungsfähig gemacht. Man könnte auch sagen: Sie werden sprachlich ihrer politischen Spannung beraubt, um in Kalküle und Messbarkeiten überführt zu werden.
Beispiel: Teilhabe.
Was ursprünglich eine ethisch-politische Forderung nach Zugang, Mitgestaltung und Selbstermächtigung meinte, wird heute operationalisiert als „Zielgruppenerreichung“, „Reichweitenvergrößerung“ oder „Diversitätsquote“. Teilhabe verkommt zur Zählgröße. Zur administrativen Simulation von Öffnung bei gleichzeitiger Kontrolle des Zugangs.
Beispiel: Diversität.
Ein Begriff, der strukturelle Machtverhältnisse hätte sichtbar machen können, wird zur dekorativen Etikette. Kulturelle Programme erhalten das Label „divers“, wenn sie entlang sichtbarer Marker kuratieren – ungeachtet der Frage, wer eigentlich über Inhalte, Ästhetik und Repräsentation entscheidet.
Beispiel: Innovation.
Längst ein Lieblingswort der Fördersprache – doch was meint es? Oft nur: etwas, das neu erscheint, ohne wirklich neue Denk- oder Sozialräume zu erschließen. Innovation wird zur ästhetischen Abweichung in vertrauter Struktur. Eine rhythmische Bewegung ohne Richtungsänderung.
So stehen diese Begriffe heute unter Klammer – einer semantischen Klammer, die definiert, was sie bedeuten dürfen. Die Begriffe sind noch da, aber sie sind nicht mehr frei. Wer sie verwendet, muss ihre verwaltungskompatible Bedeutung mitführen. Wer sie sprengt, verliert Anschluss. Wer sie kritisch reflektiert, gerät ins Abseits der Unverständlichkeit oder wird als „unkooperativ“ markiert.
Diese sprachliche Normierung ist kein Nebeneffekt, sondern ein zentrales Herrschaftsinstrument in der kulturellen Produktion. Denn Sprache definiert Handlungsspielräume. Was nicht gesagt werden kann, kann nicht mitgemeint sein. Was nicht ausdrücklich benannt ist, wird nicht gefördert, nicht verhandelt, nicht sichtbar.
So entsteht ein Kulturraum, der nicht aus Inhalten besteht, sondern aus zulässigen Vokabeln. Förderfähig ist nicht das, was wirkt, sondern das, was als Wirkung formulierbar ist. Kunst wird dann nicht mehr danach beurteilt, was sie im Innersten berührt, sondern ob sie in die Antragsstruktur passt.
Das Paradox: Selbst radikale Gegenbewegungen greifen oft auf dieselben Begriffe zurück – aus Gewohnheit, aus Notwendigkeit, aus strategischer Anpassung. Damit aber perpetuieren sie die semantische Klammer, auch wenn sie gegen sie anschreiben. Die Begriffe bleiben in ihrer Form stabil – und das System mit ihnen.
IV. Die Systemlogik der kulturellen Stilllegung
Wie kann es sein, dass ein entleerter Kulturbegriff Bestand hat? Dass seine Träger nicht rebellieren, sondern sich in funktionale Rollen fügen? Dass selbst Rezipient:innen, die sich als kritisch verstehen, bereitwillig ihre Position als Publikum akzeptieren – begrenzt durch Ticketpreise, Zielgruppenzugehörigkeit und erwartbare Inhalte?
Die Antwort ist unbequem: Weil das System genau so gebaut ist. Und weil es – für viele Beteiligte – funktioniert.
Die Mechanik folgt einer doppelten Logik:
- Für die Akteure im Betrieb sichert die administrative Kultur Struktur, Planbarkeit, Anschlussfähigkeit und Einkommensperspektive. Wer sich korrekt verhält, hat Chancen. Wer ausbricht, verliert Sichtbarkeit, Zugang, Wirkung. So entsteht eine stille Disziplinierung durch Ressourcenverteilung. Die ästhetische Vielfalt überdeckt die strukturelle Gleichförmigkeit.
- Für die Rezipient:innen bietet der Kulturbetrieb Berechenbarkeit, Sicherheit, Entlastung. Die Rolle als Konsument – sei es von Hochkultur, Subkultur oder „alternativer Kultur“ – schützt vor Verantwortung. Der Zuschauer muss nicht Stellung beziehen, er muss nicht in Frage gestellt werden. Selbst partizipative Formate bleiben oft kontrolliert: Mitspielen, aber nicht mitentscheiden.
Kulturelle Selbststilllegung – bei gleichzeitiger Behauptung von Freiheit und Vielfalt – ist so nur möglich, weil sie bequem ist. Und weil sie als natürlich erscheint. Denn das System, das die Ressourcen für Kunst und Kultur verwaltet, hat gelernt, seine Struktur als Wirklichkeit zu verkaufen. Und kommt offensichtlich damit durch.
Die Begriffe – wie zuvor gezeigt – sind Teil dieser Struktur. Doch sie allein halten das System nicht aufrecht. Was es stabilisiert, ist die tiefere Funktion: Verwaltete Kultur produziert Legitimität. Für Verwaltung, für Standortpolitik, für gesellschaftliche Selbstvergewisserung. Kultur ist nicht mehr Herausforderung – sie ist Bestätigung. Ein Feigenblatt mit künstlerischer Schrift.
Wem nützt das?
- Den Verwaltungen, weil sie politische Komplexität in ritualisierte Kulturformate übersetzen können.
- Den Institutionen, weil sie damit Fördermittel und Relevanz sichern, ohne ihr Profil zu riskieren.
- Den politischen Akteuren, weil Kultur als Nebenschauplatz inszeniert wird, während sie in Wahrheit zentrales gesellschaftliches Koordinatensystem wäre.
- Dem Markt, weil kulturelle Formate zur Konsumform degeneriert sind – auswertbar, verpackbar, steuerbar.
Und wem schadet es?
Allen, die Kultur als gesellschaftlichen Möglichkeitsraum brauchen:
– Den Kindern, die nie eingeladen werden, mitzugestalten.
– Den Prekären, die nur Konsument sein dürfen.
– Den Künstler:innen, deren Arbeit nicht wirken kann, wenn sie nicht wahrgenommen wird.
– Und letztlich: der Gesellschaft als Ganze, die sich selbst um ihre kulturelle Erkenntnis betrügt.
Warum „kann das weg“?
Weil Kultur nicht der Ort des Systemerhalts sein darf, sondern der Raum ihrer Infragestellung. Kultur, die nur affimiert, ist keine. Sie ist Simulation. Theater ohne Risiko. Musik ohne Störung. Literatur ohne Widerhall.
Wie müsste es also sein?
Ein Kulturbegriff, der nicht kontrolliert, sondern öffnet.
Eine Kulturpraxis, die nicht repräsentiert, sondern beteiligt.
Ein Kultursystem, das nicht stilllegt, sondern Möglichkeitsräume vorhält.
V. Kunst, Künstler, Kultur – Eine gestörte Beziehung
Kunst, als eigenständige, nicht immer eingeladene Begleiterin jeder Kultur, blickt über das Verabredete hinaus und macht sichtbar, was bislang verborgen blieb – als Erweiterung der Rezeption oder gezielte Störung.
Kultur, Künstler, Kunst – diese drei Begriffe wirken auf den ersten Blick wie ein verbundenes Gefüge. Doch genau darin liegt die Täuschung. Denn das, was heute unter Kultur verstanden wird, ist kein neutraler Rahmen für notwendiges künstlerisches Handeln. So bleibt künstlerische Autonomie zwar inszenierbar, wird aber politisch neutralisiert.
Der Kulturbegriff ist nicht nur entkernt – er ist instrumentalisiert.
Er wurde in den Dienst gestellt: zur Standortpflege, zur Bildungsverwaltung, zur Repräsentationsroutine. Er rahmt, was sichtbar wird, und erklärt alles Unpassende für irrelevant, unprofessionell oder nicht anschlussfähig. Wer außerhalb dieses Rahmens spricht oder handelt, verliert Förderfähigkeit, Einladung, Resonanz – nicht, weil die Kunst versagt, sondern weil der Kulturbegriff bereits so verengt wurde, dass das Politische darin keinen Platz mehr hat.
Der Künstler wird dadurch nicht gefördert, sondern eingehegt.
Er darf sprechen, aber nicht irritieren.
Er darf ausstellen, aber nicht eingreifen.
Er darf gesellschaftliche Themen verarbeiten, aber keine gesellschaftlichen Prozesse auslösen.
Der Künstler soll im System sichtbar werden – aber folgenlos bleiben.
Ein Symbol für Freiheit, die fremd erscheint. Ein Bild von Kritik, das Realität auslässt.
Und die Kunst?
Ist sie gewünscht?
Dort, wo sie wirklich stört, wird sie in die Unverständlichkeit gedrängt.
Dort, wo sie anschlussfähig ist, wird sie zur Programmposition.
Sie wird missinterpretiert als handwerkliche Darstellungsleistung, obwohl sie in Wahrheit eine offene Handlungsaufforderung ist.
Der Künstler wird durch Kultur politisch kastriert, unwirksam gemacht –
und durch Kunst nur dann legitimiert, wenn er seine Klinge stumpf hält.
VI. Der Akt der Zerfetzung
Es reicht nicht, Kultur neu zu denken.
Es reicht nicht, sie zu erweitern, zu öffnen, zu reformieren.
Was sich als Kultur ausgibt, aber Strukturverwaltung ist, gehört zerrissen.
Nicht angepasst, nicht besetzt, nicht modifiziert –
zerrissen.
Zerfetzt.
An den Rändern aufgelöst.
In der Mitte durchtrennt.
Mit allen Fasern ins Licht gehalten, um zu zeigen, was darunter liegt:
Absicherung. Reproduktion. Simulation von Differenz.
Ein Betrieb, in scheinbarer Blüte – in dem Formate nicht mehr bestehen oder scheitern können, sondern als Risiko von vornherein ausgeschlossen werden. Was lebendige Entwicklungen ausschließt.
Zerfetzt werden müssen:
– die Begriffe, die nur noch schimmern, aber nichts mehr sagen.
– die Strukturen, die nur noch planen, aber nicht mehr hören.
– die Rollenbilder, die Künstler:innen zu Dienstleistern machen.
– die Rituale, die Teilhabe versprechen und Kontrolle liefern.
Zerfetzt werden muss der Begriff vom Künstler selbst,
solange er noch als Ausnahmewesen herhalten muss für ein kulturelles System, das sich gelebter Veränderung der Regeln verweigert.
Der Künstler als dekorierte Differenz – das ist zu wenig.
Zu funktional. Zu ungefährlich.
Er gehört nicht in Formulare, sondern auf rasch zusammengezimmerte Bühnen, dorthin wo geliebt, geboren, gelebt und gestorben wird.
Nicht in Förderkategorien, sondern in offene Räume.
Nicht in Formate – auf den schwammigen Boden des gerade gewonnenen Marschlandes.
Zerfetzt werden muss die Behauptung, Kultur sei verfügbar, planbar, quantifizierbar.
Dass man sie buchen kann, messen kann, verwalten kann.
Dass man sie besetzen und besitzen kann.
Denn Kultur hat man nicht. Kultur wird lebendig – oder existiert nicht.
Was heute gern Kultur genannt wird, ist oft genug:
Handlung ohne Konsequenz.
Angebot ohne Risiko.
Echo ohne Ruf.
Zerfetzt heißt nicht: zerstört ohne Sinn.
Zerfetzt heißt: die hermetische Verpackung aufreißen, damit das Lebendige wieder atmen kann.
Und ja:
Danach könnte es schmerzhaft sein.
Unsicher. Ungeordnet.
Ungefördert.
Unvermarktet.
Aber vielleicht auch wieder offen.
Vielleicht: wirklich.
Vielleicht endlich: Kultur = Aushandlung x Prozess.
VII. Partizipative Rekonstruktion: Kultur als Verhandlungsraum
Was nach der Zerfetzung bleibt, ist ein Möglichkeitsraum, der nicht sofort bespielt, sondern zuallererst neu verhandelt werden muss.
Denn Kultur, die nur erzählt, was bereits war, die den Ereignissen nachformuliert, was sie nicht mehr beeinflussen kann – ist kein Akteur, sondern Archiv. Kein Prozess, sondern Nachbearbeitung, Rückblick.
Kultur muss zwingend die Zeitlinie der nachgelagerten Erzählung der Wirklichkeit durchbrechen.
Sie darf nicht nur berichten, was war.
Sie muss im Jetzt aktiv sein.
Sie muss ins Werden eingreifen.
Sie muss vorausfühlen, stören, tasten, fordern.
Sie muss quer zur Chronologie wirken – als Ort, an dem Gegenwart sichtbar wird.
Dazu braucht es keine neuen Institutionen – sondern neue Formen der gemeinsamen Rezeption. Kultur muss wieder geteilt werden können, nicht verkauft werden müssen.
Geteilt im Sinne von: zugänglich, unfertig, widersprüchlich, gemeinsam weiterzudenken.
Nicht über Beteiligung reden – Beteiligung ermöglichen.
Kultur zu verhandeln meint: Menschen als kulturelle Subjekte prozesshaft in kooperativer Wirkung und Rezeption miteinander in Beziehung zu setzen.
Das verlangt ein neues Selbstverständnis der Künstler:
nicht als Kritiker oder Pädagogen im System, sondern als gleichberechtigte Ermöglichende von Zwischenräumen und -tönen – als Systemunterbrecher im Sozialen.
Was daraus entsteht, ist keine Kulturpolitik, sondern ein anderer Begriff von Kultur:
ein Ort, an dem das bisher Unsagbare in Syntax übersetzt wird.
VIII. Schluss: Der Künstlerbegriff als poetisch-politische Setzung
Künstler ist kein Titel. Kein Status. Kein Label. Kein Beruf.
Künstler zu sein, ist eine Haltung zur Welt.
Eine Entscheidung gegen bloße Reproduktion,
für das unsortierte Möglichkeitsdenken,
für den kulturell-offenen Blick auf Chaos als Vielfalt.
Wer heute das Label Künstler trägt, ohne die Begriffe neu zu befragen, die es definieren –
läuft Gefahr, Mitverwalter einer Ästhetik der geordneten Rückschau zu sein.
Doch der Künstler muss nicht einordnen –
er muss aufzeigen, unterbrechen, versetzen, verwandeln.
Der Künstler ist keine Institution,
sondern eine poetisch-politische Setzung im Raum des Ungewissen.
Eine Figur des Übergangs,
der sich nicht mit Repräsentation zufriedengibt,
sondern Handlung ermöglicht – auch dort, wo sie gerade noch unmöglich schien.
Kultur ohne Konflikt im Realen ist Selbstbemäntelung.
Kunst ohne Konsequenz ist Dekoration.
Künstler im Diskurs-Kanal ist Konzeptpersonal.
Der Künstlerbegriff entsteht erst im Moment der Freiwerdung –
nicht durch Zuweisung, sondern durch Handlung.
Nicht im Betrieb, sondern im Bruch.
Kultur ermöglicht den gerahmten, aber ungetrübten Blick auf das Jetzt:
So ist die Welt – nicht die Welt von morgen – so ist sie jetzt.
Und ja, sie ist auch Deine! Hab keine Angst.
Aber sieh mit uns hin. Und handele.
Ihr findet mich auf dem Weg.
Andersen Storm – The Artist.
Markkleeberg, 2025-05-25
© 2025
Essayistic manifesto of a necessary interruption
Context. Music. Culture.
Permeability. Unframed.
@andersenstorm.theartist
Andersen Storm – The Artist.

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Das Manifest „Zerfetzt die Kultur“ auf menschundkultur.de positioniert sich als poetisch-politischer Text, der Kultur nicht als statisches Ressort, sondern als dynamischen Aushandlungsprozess versteht. Es fordert eine aktive Mitgestaltung von Kultur durch die Beteiligten und betont die Rolle der Kunst als störendes Element, das vor dem Verstandenwerden irritiert.
Insgesamt stellt das Manifest einen Beitrag zur Diskussion über die Rolle von Kultur und Kunst in der Gesellschaft dar, indem es zur aktiven Mitgestaltung und kritischen Reflexion aufruft.
Diese Form der Kulturadressierung – beweglich, auf Beziehung ausgerichtet, irritierend – ist ein wiederkehrendes Muster in gegenwärtigen künstlerischen Feldern.
Es bleibt jedoch ohne formale Rückbindung an bestehende Verwaltungs- oder Entscheidungsinstanzen.
HB-S
Ja, treffend bemerkt. und nun?
Herzliche Grüße
AS-TA
Nichts. SIE sind der Handelnde.