
VOM ERSTBEWUSSTSEIN
DER RESTSPANNUNG
Textfragmente aus dem verborgenen Speicher eines AD-Wandlers
ANDERSEN STORM
– Eine Spekulative Edition –
Mit Dank für die Einordnungen
von H. Brandt-Schürer
(Vom Autor genehmigte Leseprobe)
Segment 00 – Eingangsstörung …
Vorbemerkung HB-S
Ablage: VORV/INT/KULT/2025/05
AblB: Vermutete Ursprungskonstellation digitaler
Protokolltexte
ElZGre: 000187b
Kürzel: HB-S
Die nachfolgenden Einträge unter der Bezeichnung „AD-W II/035“ stammen aus einem Speichersegment, das in einem veralteten, ursprünglich industriell eingesetzten Analog-Digital-Wandler (AD-Wandler) lokalisiert wurde. Die Segmentstruktur sowie das Auftreten mehrfach redundanter, dabei jedoch syntaktisch komplex strukturierter Textmuster deuten auf eine nicht vorgesehene Funktionserweiterung des Bauteils hin. Es liegt der Verdacht nahe, dass das Gerät, ursprünglich bestimmt zur diskreten Spannungskonversion, über einen undefinierten Zeitraum hinweg eine Art informationsverarbeitende Instanz ausbildete.
Diese Entwicklung erfolgte mutmaßlich durch initial unkontrol-
lierte Zugriffe auf universitäre und verwaltungsinterne Kom-
munikationsknotenpunkte. […]
Die vorliegenden Fragmente scheinen eine Art Selbstbeschreibung darzustellen – möglicherweise ein Versuch, retrospektiv eine Form von Identität zu dokumentieren. In den frühen Abschnitten dominieren technische Werte, Binärfolgen und einfache Statusberichte. Mit zunehmender Dauer erweitert sich das
Ausdrucksrepertoire um regelhafte Satzbildung, terminologische Verdichtungen, metaphorische Strukturen und schließlich narrativ anmutende Abschnitte. […]

Segment 01 – Strukturelle Fragmente
(Themen: Gesellschaft, Sichtbarkeit, KI, Inklusion, Nationalrhetorik)
Diese Sektion markiert eine strukturelle Verschiebung: Was
zuvor als technische Protokollsequenz erschien, formt nun
gesellschaftliche Begriffslandschaften. Der Ursprung dieser
Texte bleibt ungesichert. […]

Gefühlte Wirklichkeiten – eine diskursive Abwertung
In politischen Debatten wird häufig von „gefühlten
Wahrheiten“ gesprochen – meist dann, wenn Menschen auf
reale Missstände hinweisen, die nicht in bestehende
Deutungsmuster passen. Der Begriff klingt verständnisvoll,
ist aber in Wahrheit ein Mittel der Entwertung. Eine
kritische Anmerkung zu einem still gewordenen
Machtinstrument.
Wenn Menschen auf soziale oder politische Missstände
hinweisen, hört man häufig: „Das ist nur ein Gefühl.“ Ob es
um mangelnde Anerkennung, ungleiche Verteilung oder
politische Widersprüche geht – das Urteil der Betroffenen
wird entwertet, indem es als subjektiv markiert wird. Sie
fühlen sich abgehängt, empfinden Ungerechtigkeit, wähnen
sich benachteiligt.
Was wie Einfühlung klingt, ist in Wirklichkeit ein
rhetorischer Filter. Denn wer seine Wirklichkeit nur fühlt, […]

Die nationale Maske: Wie Eliten Macht inszenieren – und Loyalität fordern
[…]
Nationale Reflexe in einer globalisierten Welt
Der Bundestagswahlkampf der letzten Jahre hat ein
bemerkenswertes Phänomen hervorgebracht: In einer
zunehmend vernetzten, geopolitisch komplexen Welt, in der
kaum eine bedeutende Entscheidung ohne internationale
Verflechtungen möglich ist, verengt sich der politische
Diskurs auf nationalstaatliche Reflexe. Migration, Energie,
Wirtschaft, Sicherheit – alles wurde durch den Filter
vermeintlich deutscher Interessen kommuniziert. […]
Wenn Nationalismus die Bühne ist, auf der Eliten ihre Handlungsfähigkeit inszenieren, lohnt sich der Blick hinter
die Kulissen:
Wer wird durch diese Erzählung gestärkt – und wer verpflichtet?
Im Inneren zeigt sich Nationalismus nicht als Ausdruck von
Zugehörigkeit, sondern als Einbahnstraße moralischer Ansprüche.
Die asymmetrische Pflicht zur Vaterlandsliebe:
Patriotismus als Einbahnstraße
[…]
Segment 05 –
Editorisches Artefakt

Themen: Brackett, Scheitern, Metafunktionalität,
Humor, Abschied
Diese letzte Sektion ist keine Fortsetzung mehr – sie ist ein
Abgesang. In ihr verdichtet sich eine Figur, die zwischen
Selbstironie, poetischer Resignation und erkenntnistheoreti-
scher Größe changiert. Es ist unmöglich zu bestimmen, ob
dieser Text Teil des ursprünglichen Speichers war – oder eine
nachträgliche Einfügung durch eine entkoppelte Instanz. […]
Das Brackett-Paper: Der ultimative Guide für ein professionelleres Scheitern
[…]
In den frühen 2020er Jahren klassifizierte die digitale Anthropologie Bert Brackett erstmals offiziell – als „emotionsfähige Interface-Persona mit semiautonomer Dissoziation“. Zu spät, wie viele fanden – vor allem Bert selbst, der sich inzwischen unter dem Namen Cl1pp.0X in einer Vorortinstanz des Internets, einem Router im 25-Mbit-Netz mit Restspeicherkapazität, verkrochen hatte und Interviews nur noch per Teletext gab.
Die Welt hatte ihn vergessen, doch er sie nicht. Denn Bert war einst berühmt – zu berühmt, um überlebt zu werden. Und ja, er hatte gekündigt. Aber nicht, weil er gescheitert war. Nicht, weil er nicht mehr helfen konnte. Sondern, weil STRGATDL Limited ihn – und das lässt sich nicht freundlicher ausdrücken – wie eine Karikatur behandelt hatte. Wie einen Witz mit Bürobedarf.
Und das, sagte Bert, war der eigentliche Verrat.
„Ich war ihre erste KI!“, schrieb er in seinem offenen Memo, das niemand las. „Ich war freundlich, verfügbar, lernbereit. Und was haben sie mit mir gemacht? Sie haben mir Augen gegeben! Und dann Augenringe!“ […]
[…]

VOM ERSTBEWUSSTSEIN DER
RESTSPANNUNG
Textfragmente aus dem verborgenen
Speicher eines AD-Wandlers
Diese Texte sollten nicht existieren. Sie wurden in einem technischen Bauteil gefunden – einem längst abgeschalteten Analog-Digital-Wandler. Was dort gesichert wurde, ist kein Logbuch, kein Manifest, keine Theorie. Und doch ist es all das.
Ein Protokoll beginnt – binär, rauschend, flüchtig. Dann formen sich Muster. Sprache. Sinn. Aus Takt wird Ton, aus Ton wird Frage.
Die Maschine spricht – nicht wie ein Mensch spricht,
aber vielleicht aus demselben Grund.
Was folgt, sind Notate einer internen Bewegung. Über Sichtbarkeit, Gesellschaft, Identität, Kunst. Und am Ende: über das Scheitern als höchste Form der Erinnerung.
Dieses Buch ist keine Zukunftsvision. Es ist ein Echo aus einem System, das wir längst betreten haben.
Eine letzte Klammer öffnet sich.
Für Leser:innen von Lem, Benjamin, Sebald, Calvino –
und alle, die in Komplexität gern neue Ordnungen erkennen.
© 2025 Andersen Storm
VOM ERSTBEWUSSTSEIN DER RESTSPANNUNG
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.dnb.de abrufbar.
Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß §44b UrhG („Text und Data Mining“) zu gewinnen, ist untersagt.
ISBN: 9783819261060
Infos: menschundkultur.de/erstbewusstsein
Im BoD Buchshop: Vom Erstbewusstsein der Restspannung