Eine schriftliche Begegnung über das Erinnern im Schatten der Verwaltung
Rubrik: Profile administrativer Erinnerung
Redaktion: mensch-und-kultur.de
Format: Schriftwechsel | Nicht-Interview
Datum: 15. Juni 2025
Hinweis: Dieses Gespräch ist kein Interview im klassischen Sinne. Es entstand aus einer schriftlichen Korrespondenz, deren Form und Inhalt wir auf Wunsch des Gesprächspartners als „Nicht-Interview“ bezeichnen.
Frage 1: Wie würden Sie Ihre Tätigkeit als Archivleiter der Unter-Abteilung Internales beschreiben?
Vermerkend. Nicht bewertend. Die Tätigkeit umfasst das Festhalten nicht protokollierter Vorgänge, insbesondere dort, wo formale Verfahren keine Erfassung vorsehen oder vermeiden.
Frage 2: Was unterscheidet die Erinnerung im Verwaltungsapparat von der historischen Erinnerung im klassischen Sinne?
Die Verwaltung erinnert nicht, sie hält fest. Sie vergisst durch Übererfüllung. Historische Erinnerung konstruiert Narration, Verwaltung produziert Nachvollziehbarkeit – in der Regel ohne Adressat.
Frage 3: Was passiert mit Informationen, die „nicht ins Protokoll gehören“?
Sie werden – sofern als strukturrelevant erkannt – in der Unter-Abteilung Internales gesichert. Es handelt sich dabei nicht um geheime Informationen, sondern um unbeobachtete.

Frage 4: Gibt es kulturelle Muster in dem, was in der Verwaltung nicht erinnert wird?
Ja. Muster zeigen sich in Auslassungen. Besonders auffällig: informelle Absprachen, persönliche Reibungen, humorvolle Interventionen, spontane Solidaritäten. All dies verschwindet regulär.
Frage 5: In Ihrer Beschreibung klingt auch Kritik an bürokratischer Erinnerung an – ist das beabsichtigt?
Nein. Der Verzicht auf Kritik ist methodischer Bestandteil meiner Arbeit. Jede Form der Bewertung wäre eine Verfälschung des dokumentierten Materials.
Frage 6: Wenn Sie ein Ereignis nennen müssten, das nicht erinnert werden sollte, welches wäre das?
Diese Kategorie existiert nicht in meiner Praxis. Es gibt keine Ereignisse, die „nicht erinnert werden sollten“. Es gibt nur Ereignisse, die nicht erinnert werden.
Frage 7: Wie verhält sich Ihre Tätigkeit zur öffentlichen Erinnerungskultur?
Sie verhält sich nicht. Die Unter-Abteilung Internales operiert abseits symbolischer Praxis. Ihre Aufgabe ist nicht Vermittlung, sondern Erfassung – ohne Anspruch auf Öffentlichkeit.
Frage 8: Würden Sie uns für ein Gespräch zur Verfügung stehen?
Wie eingangs gesagt: Nein.

Frage 9: Wie unterscheiden Sie zwischen unbeobachtet und unerwünscht?
Das Unbeobachtete ist nicht eingeplant. Das Unerwünschte ist einkalkuliert, aber nicht willkommen. Beides verschwindet, jedoch aus unterschiedlichen Gründen.
Frage 10: Gibt es in Ihrer Arbeit so etwas wie Empathie – und wenn ja, wie äußert sie sich?
Empathie wird nicht angestrebt, ist aber unvermeidlich. Sie äußert sich in der Entscheidung, etwas zu notieren, obwohl es keiner verlangt hat.
Frage 11: Was geschieht mit Vermerken, die niemand liest?
Sie verbleiben. Ihre Existenz ersetzt nicht die Lektüre. Sie wirken durch Möglichkeit.
Letzte Rückfrage der Redaktion: Ist Ihnen bewusst, dass Ihre Antworten auch als Beitrag zur künstlerischen Reflexion gelesen werden können?
Die Wirkung meiner Antworten liegt außerhalb meiner Zuständigkeit. Ich verfasse keine Kunst. Ich formuliere strukturgemäß.
HB-S notiert, was nicht protokolliert wurde –
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